David Walsh: Er lebt in seinem Museum und will sich dort begraben lassen - WELT (2024)

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Ist das Kunst oder Kokolores? Im Mona Museum stellt sich diese Frage an vielen Stellen. Am Parkplatz ist ein Sportwagen gegen eine Betonmauer gecrasht. Vor dem Haupteingang lädt ein Trampolin zur Benutzung ein.

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Aus einem überdimensionalen Trichter wabern Stimmfetzen über den Platz in Sichtweite einer Bootsanlegestelle. Auf den Fähren im Tarnfarbenlook, mit denen die meisten Gäste anreisen, werden Gratisgetränke ausgeschenkt.

Als „subversives Disneyland für Erwachsene“ bezeichnet sich das im australischen Hobart, der Hauptstadt von Tasmanien, gelegene „Museum of Old and New Art“ selbst. Alles ist bis ins Detail ge-brandet, mit dem Ziel, den herkömmlichen Kunstbegriff auf den Kopf zu stellen.

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Ein Großteil der Ausstellungsfläche befindet sich zudem unter Tage, 17 Meter tief in den Fels gegraben. Wer will, nimmt, unten angekommen, schon mal den nächsten Drink an der Bar, weil ein kleiner Schwips der Kunst-Sache nur zuträglich sein kann.

Denn nun geht es los: vorbei an einem Datenwasserfall des Nürnberger Medienkünstlers Julian Popp, einer Porzellan-Vulven-Wand von Greg Taylor mit dem drastischen Titel „Conversation with c*nts“, hin zu Erwin Wurms tomatenrotem „Fat Car“, Anselm Kiefers „Sternenfall“ und zwei in einem Suppenteller schwimmenden, von einem Messer bedrohten Goldfische der Arte-Povera-Ikone Jannis Kounellis.

Walsh machte sein Geld mit Glücksspiel

Für einige der Werke muss man Zeit-Slots buchen, für Alfredo Jaars „Göttliche Komödie“ beispielsweise oder eine schummrige Grabkammer mit antiken Exponaten und einem mehrere Meter tiefen Wasserbecken. Es sollen schon Leute hineingefallen sein.

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Besuchermagnet ist Wim Delvoyes „Cloaca Professional“, ein wissenschaftlich anmutender, die menschliche Verdauung nachahmender Apparat, der normalerweise einmal am Tag ein Häufchen Kot produziert. Nicht jedoch bei unserem Besuch, da hatte die Maschine offenbar Verstopfung.

Fast doppelt so groß wie das New Yorker Guggenheim Museum ist das Mona. Entworfen wurde es vom australischen Architekten Nonda Katsalidis und zwar ziemlich verwirrend, mit schiefen Ebenen, labyrinthischen Korridoren, ins Nichts führenden Türen und Tunneln. Es gibt weder Wegweiser noch festgelegte Routen, stattdessen eine empfehlenswerte App.

Sie listet jedes Kunstwerk auf und erklärt es auf unkonventionelle Weise. In Form einer Klugscheißer-Version („art wank“ genannt) oder mit den laienhaften Ansichten des Sammlers und Museumsgründers David Walsh, der bekennt, er habe von Kunst keine Ahnung.

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Dass über Walsh noch keine Netflix-Doku gedreht wurde, ist verwunderlich. Geboren 1961 und aufgewachsen in prekären Verhältnissen ganz in der Nähe, verbrachte er schon als autistischer Junge viel Zeit in Museen. Zu Geld kam der ehemalige Mathematikstudent erst durchs Glücksspiel, dann durch Pferdewetten.

Seine Gewinne legte er schon früh in Kunst an. Als Szene-Nobody stach er bei Auktionen sogar öffentliche Institutionen wie die National Gallery of Victoria aus. 1999 erwarb Walsh das auf einer Halbinsel gelegene, damals für Weinanbau genutzte Gelände und baute ein Antikenmuseum „das keinen interessierte“.

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Daraus entstand 2011 schließlich das Mona. Und weil er auch sein Leben als Kunst begreift, zog er mit seiner Frau, einer amerikanischen Umweltaktivistin und Künstlerin, und den drei Kindern sogar in sein Museum ein. Von einem Raum können Besucher einen Blick hinauf werfen auf den verglasten Wohnzimmerboden der Familie.

David Walsh, oft leicht alkoholisiert und in zerschlissenen Band-T-Shirts unterwegs, gilt als belesener, aber verschrobener Querkopf. Seine Lieblingsthemen (nicht nur) in Bezug auf die Kunst sind „sex“ und „death“. Fünf Kuratoren beraten den 63-Jährigen beim Einkauf, wobei er sich nur bedingt hineinreden lässt und Wertsteigerung kein Argument ist.

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Sammlung Marzona

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In den Worten eines Insiders: „Wenn es einen Grund gibt, ein Werk zu kaufen, dann kauft David es nicht.“ Seine rund 4000 Exponate umfassende Sammlung gleicht einer zeitgenössischen, alle Genregrenzen sprengenden Wunderkammer, von Video und Skulptur über Malerei bis zu Fotografie, von Aborigines-Schmuck bis zu Outsider-Art.

Sonderausstellungen widmeten sich Glockenspielen, Gorillas und christlich-orthodoxen Ikonen, während die aktuelle unter dem Titel „Namedropping“ neben Tino Sehgal, Danh Vo, Jenny Holzer und Pierre-Auguste Renoir auch Werke von Heath Ledger und Marie Antoinette ankündigt. So wie Walsh sich selbst als promiskuitiv bezeichnet, handhabt er es auch mit der Kunst: bloß nicht festlegen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist das, was der englische Begriff „weird“ meint: abwegig, seltsam.

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Tasmanien ist wortwörtlich sehr weit weg, rund 500 Kilometer vom australischen Festland und zwanzig Flugstunden von Deutschland. Kein Wunder, dass man vom größten privat finanzierten Museum Australiens hierzulande kaum je gehört hätte. Oder liegt es vielleicht am eurozentristisch-westlichen Blick, der für Australien ähnlich eingeschränkt ist wie für Südamerika oder Afrika?

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Immerhin wurde bei der Biennale von Venedig gerade der australische Pavillon, den der indigene Künstler Archie Moore gestaltet hat, mit dem Goldenen Löwen geehrt. Der im Mona Museum mit naiv-expressionistischer Malerei vertretene Brett Whitely, einer der bekanntesten australischen Künstler überhaupt, dürfte dennoch ebenso wenige Assoziationen wecken wie Sidney Nolan, dessen aus 1620 Bildpaneelen bestehende Arbeit „Snake“ von 1970 die raumgreifendste Installation im Museum ist.

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Starkünstler

Der letzte Countdown des Georg Baselitz

Zeit im Mona verfliegt regelrecht. Das liegt nicht nur an der höchst unterhaltsamen Kunst, sondern auch am Drumherum. Da gibt es eine Bibliothek und ein Aufnahmestudio, zwei Bars, zwei Fine-Dining-Restaurants und ein Deli mit großem Außenbereich, in dem am Besuchstag ein japanisches DJ-Duo sphärischen Ambient auflegt. Regelmäßig finden Konzerte statt. Außerdem wird gerade hörbar an einem fünfstöckigen Amphitheater gebaut, nach Plänen Anselm Kiefers.

Alle Erweiterungen des 9000 Quadratmeter großen Geländes gehorchen der Kunst – und natürlich dem Geschmack des Bauherrn. Selbst für dessen Ableben gibt es einen Plan, ein Krematorium. Die Asche von Walshs verstorbenem Bruder ist bereits Teil der Mona-Sammlung.

Kunstkacke und Exhibitionismus

Das passt nicht ganz zu der gegenüber dem Magazin „New Yorker“ geäußerten Behauptung des Sammlers, sein Museum sei weder „Ausdruck eines reichen Manns, der seiner Gemeinschaft dankbar etwas zurückgibt“ noch der „Versuch, unsterblich zu werden“, zumal niemand weiß, welchen Wert die Sammlung in der Zukunft haben wird. Warum dann das Mona? Um die Vorstellung eines Museums zu unterwandern, sein Glücksspielergewissen zu beruhigen, Akademikern eins auszuwischen und, so Walsh, Frauen rumzukriegen.

Manche schimpfen auf kulturelle Eventisierung und die Social-Media-optimierte Aufbereitung, über Kunstkacke und Walshs fragwürdigen Sammlerexhibitionismus. Andere glauben, das Mona habe den in den vergangenen Jahren vollzogenen Aufschwung Tasmaniens erst möglich gemacht. Das Museum versteht sich als politisch links positionierter Ort, als Safe-Space für die LGBTQ-Community.

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Und es hat regen Zulauf: 400.000 Besucher kommen jährlich, was nicht nur daran liegt, dass der Eintritt für Einheimische nichts kostet. App-Nutzer können jedes Werk mit „love“ oder „hate“ bewerten – was tatsächlich dazu führte, dass Unbeliebtes ausgemistet wurde. So oder so, die von Museen weltweit beschworene Demokratisierung von Kunst wird hier bravourös umgesetzt.

Und eines muss man dem inoffiziell reichsten Tasmanier lassen: So abwegig David Walshs Eros-und-Thanatos-verliebte Sammlung wirken mag, vereint sie seinen privaten Geschmack doch auch mit anerkannten Namen der zeitgenössischen Kunst. 2017 gab sich der österreichische Aktionist Hermann Nitsch mit einer Performance die Ehre.

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Der chinesische Dissident Ai Weiwei steuerte eine 80 Quadratmeter große, elfenbeinfarbene Nachbildung eines Quing-Dynastie-Wohnhauses bei. Der amerikanische Lichtkünstler James Turrell gestaltete gleich einen ganzen Flügel. Präsentiert wird all das mit schwarzem Humor und auf eine angenehm selbstironische Art.

Der neben dem Parkplatz zu Schrott gefahrene Wagen ist übrigens kein Unfallwrack, sondern stammt vom Schweizer Konzeptkünstler Roman Signer. Der Titel des 2011 bei der Eröffnungsparty des Museums entstandenen Werks ist Programm im Mona: „Engpass“.

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